Der Filderclub hat die vermeintlich schweren Verluste in seinem Kader spektakulär kompensiert. Das neue Prunkstück scheint bereits gefunden. Zugleich ist aber auch ein Ärger geblieben.
Zumindest der Trainer hat in Sachen Langstrecke schon einmal geübt. Am Donnerstag ist Giuseppe Iorfida aus dem Heimaturlaub zurückgekehrt. 1600 Kilometer im Auto von Kalabrien, Italiens tiefem Süden, wieder ins Schwabenland. Da braucht es Durchhaltevermögen und eine gute Kondition.
Die gleichen Attribute werden für Iorfida und seine Fußballer des TV Echterdingen nun auch in der neuen Saison gefordert sein. Auch dort wartet ein Marathon – nach wie vor zum Ärger der Verantwortlichen des Filderclubs. Zur Erinnerung: sie hatten zu den Vereinen gehört, die sich für einen alternativen Wettbewerbsmodus ausgesprochen hatten, ganz nach den Plänen des Verbands. Reduziert hätten sich die Spieltage damit von der Rekordzahl 38 auf 28. Allein: die Mehrheit der Konkurrenz stimmte bekanntlich anders ab. „Das könnte mich noch immer wütend machen“, sagt Valentin Haug, der sportliche Leiter in den Goldäckern. „Völlig unverständlich“ sei ihm, wie man „in dieser ungewissen Zeit“ so habe entscheiden können.
Doch lamentieren hilft bekanntlich nichts. Man muss es im gelb-schwarzen Tross nun so nehmen, wie es ist. So, wie sich die Echterdinger in diesem Sommer schließlich auch mit anderen Unliebsamkeiten arrangiert haben, einmal in die Hände spuckten und sich sagten: okay, dann jetzt erst recht. Nur ein paar Monate ist es her, dass der zuletzt Tabellenzwölfte mit heruntergelassenen Hosen dazustehen schien. Erst hatte sich der Torjäger Driss Majid eine Knochenabsplitterung im Knie zugezogen, womit das Sportjahr 2021 für ihn bereits beendet ist. Dann hatte sich die Befürchtung bewahrheitet, dass beide Torhüter gehen. Plötzlich hatten Iorfida und Haug also zwei Großbaustellen. Und das bei coronabedingt vergleichsweiser Flaute auf dem Spielermarkt.
Umso bemerkenswerter, was als Lösung des Problems herausgekommen ist, mit Geschick, guten Kontakten, aber auch dank begünstigender anderer Faktoren. Schlicht Glück spielte mit, dass den Echterdingern für den Platz zwischen den Pfosten in dem bisherigen Pfullinger Verbandsliga-Keeper Tim Becker kurzfristig noch ein dicker Fisch ins Netz gegangen ist. Die Frage nach der neuen Nummer eins dürfte damit beantwortet sein.
Und im Angriff, da ging es dann nicht zuletzt auch um einen ausreichend dicken Geldbeutel. Die Erkenntnis: wer hat, der kann. Wie Donnerhall klingt es, was als künftiges Angriffsgespann seiner Einsätze harrt: Geangelt hat der TV Echterdingen sich zum einen Caglar Celiktas, den Liga-Toptorjäger der vergangenen Abbruchsaison (14 Tore in neun Spielen für den SV Bonlanden). Zum anderen Rui Tiago Caldas de Carvalho. Der einstige portugiesische Zweitliga-Profi stand zuletzt beim Oberligisten TSG Backnang unter Vertrag.
Überzeugt ist Iorfida: „An den beiden werden die Zuschauer viel Freude haben.“ In Celiktas sieht er einen „absoluten Vollstrecker, ein Mentalitätsmonster“. Rui Tiago komme mit seiner Dribbelstärke und seinen Qualitäten im Eins-gegen-Eins „als Explosion“ hinzu. Es ist ein Zündstoff, der den Gegnern um die Ohren fliegen soll. Rechnet man noch den aus Möhringen geholten „Rohdiamanten“ Nils Große Scharmann mit, könnte aus einem vermeintlichen Krisenbereich das neue Prunkstück der Mannschaft erwachsen sein.
Freilich, einer Mannschaft, die sich nach wie vor in einem Lernprozess befindet. Zur Unzeit kam das abrupte Ende der vorigen Runde, hatte der damals neue Coach Iorfida doch gerade erst begonnen, seine Vorstellungen von Fußball zu implantieren. Nun fängt er ein Stück weit von vorne an. Geändert hat sich am von ihm gewünschten Spielstil nichts. Bei gegnerischem Ballbesitz wollen die Echterdinger aggressiv verteidigen. Ein Pressing mit entsprechend intensiver und kollektiver Laufarbeit. Haben sie selbst die Kugel, soll die Post abgehen. Nicht viel quer, sondern schnell und vertikal zum Tor. Und bei allem steht für Iorfida eines im Vordergrund: das Team. Keinen Begriff erwähnt er öfter. „Eine sensationelle Stimmung“ hat der Trainer ausgemacht, „weil in unserem Team jeder den Willen und die Leidenschaft hat, für das Projekt TV Echterdingen mitzugehen“.
Wer dann doch nicht so ganz, der geht ebenfalls – allerdings aus dem Verein. Siehe Elvir Gashi. Den Mittelfeldmann haben die Echterdinger wie berichtet aus „Einstellungsgründen“ aussortiert.
Bleibt die Frage, zu was es dann diesmal reichen kann. Bei allem Optimismus hat Haug die zuletzt sportlichen Leidensjahre aus der Vor-Coronazeit nicht vergessen. Gleiches gilt für die Tatsache, dass es bis zu acht Absteiger geben kann. Insofern lautet Haugs Devise: den Ball flach halten. Sowohl er als auch Iorfida wären zufrieden mit einem einstelligen Tabellenplatz. „An Weihnachten an die 30 Punkte haben und schon da sagen zu können: Wir können weiter Landesliga planen – das wäre gut“, sagt Iorfida, der bis auf Weiteres auf seinen Kapitän Dennis Garcia-Franco (Virusinfektion, nicht Corona) verzichten muss.
Einen ersten Schritt möchten die Echterdinger am heutigen Samstag (17.30 Uhr) in Deizisau tun. Einen von nun 36. Die Vorfreude ist dabei allemal größer, als sie es für Iorfida auf seine 1600 Autokilometer war.