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Geschrieben von webmaster
Veröffentlicht: Freitag, 01.06.2018 10:21:48
Zuletzt aktualisiert: Freitag, 01.06.2018 10:22:17
Kategorie: Allgemein

stuttgarter nachrichtenWM-Serie König Fußball Das Turnier hat eine enorme Strahlkraft auf die Basis, doch in der A- und B-Jugend brechen die Spieler weg Serie Am 14. Juni beginnt in Russland die Weltmeisterschaft. Nicht erst dann gilt: König Fußball regiert die (Sport-)Welt.
Was macht die Sportart zur meistbeachteten? Wir nehmen in unserer WM-Serie verschiedene
Phänomene unter die Lupe. Heute: wie sich das große WM-Turnier auf die Basis auswirkt.
Stuttgart. Die U 19 des TV Echterdigen hat in dieser Saison durch ein 5:2 gegen den MTV Stuttgart den Bezirkspokal geholt. Was das mit den Auswirkungen einer WM auf die Basis zu tun hat? Zumindest in diesem konkreten Fall eine ganze Menge. Denn die Echterdiger Titelhamster sind praktisch Kinder des Sommermärchens 2006: als das Fußballfieber vier Wochen lang so hochkochte wie noch nie. Als die Bilder vom Fahnenmeer in Schwarz-Rot-Gold, den geschminkten Fans und der grenzenlosen Freude um die Welt gingen. „Nach diesem rauschenden Fußballfest standen plötzlich 40 Kinder auf der Matte und wollten kicken“, erzählt TVE-Jugendleiter Oliver Elsäßer. Erstmals gründete der Verein damals ein Bambini-Team. Viele von den Kindern blieben dabei, kletterten Jugend für Jugend nach oben – bis zur erfolgreichen U 19.
Wenn Matthias Schöck von diesem Paradebeispiel hört, gehen bei ihm die Mundwinkel nach oben. Ein Lächeln blitzt auf. Er fühlt sich in seiner Haltung bestätigt: „Eine WM ist eine Leuchtturm-Veranstaltung mit Strahlkraft auf die Basis“, sagt der Präsident des Württembergischen Fußballverbands (WFV). „Kinder wollen ihren Vorbildern nacheifern.“ Das war im Tennis nach den Erfolgen von Boris Becker und Steffi Graf nicht anders. Euphorie und Schwung werden in die Vereine getragen. 20 bis 30 Prozent mehr neue Spielerpässe wurden nach der Fußball-WM 2006 ausgestellt als im Jahr zuvor. „Und auch Funktionäre schöpfen Motivation und Kraft, wenn Spitze und Breite miteinander verschmelzen“, betont Schöck. Hinzu kommt: Die allgemeine Fußballbegeisterung erleichtert auch nach dem Verschwinden der Fahnen von den Autodächern den Einstieg in Sponsorengespräche.
Auch Karsten Ewald, der Vorsitzende des MTV Stuttgart, kennt die Auswirkungen des Medienereignisses WM: „Wenn auf allen Kanälen Fußball kommt, brennt sich das gnadenlos in den Köpfen ein. Viele Eltern sagen dann zu ihren Kindern: Willst du nicht doch auch kicken?“ Der damit verbundene Boom bereitet Ewald aber auch Kopfzerbrechen. Beim MTV jagen 600 Kinder in 31 Jugendteams dem Fußball nach. Bei dem Versuch, den Ansturm zu bewältigen, geraten Clubs schon mal an ihre Leistungsgrenzen. „Unser Anspruch ist es, Quantität und Qualität zu verbinden. Deshalb investieren wir sehr viel in lizenzierte Trainer.“ Georgios Metaxarakis leitet hauptamtlich die Fußball-Akademie des MTV. Dazu ist der Verein Kooperationspartner des VfB Stuttgart und DFB-Stützpunkt.
„Der MTV ist ein Ausnahmeverein und nicht repräsentativ für die vielen kleinen Vereine“, erklärt Martin Hägele. Der Fußballlehrer ist eine Koryphäe in Sachen Jugendfußball in Württemberg, seit zwölf Jahren arbeitet er für den FC Esslingen. In seinem Umfeld vermisst er bislang noch das WM-Fieber. „Vielleicht liegt es an Russland, vielleicht an einer Fußballübersättigung, vielleicht sind im digitalen Zeitalter den Kindern das eigene Handy und irgendwelche Ballerspiele wichtiger“, vermutet Martin Hägele.Dennoch steht auch für den 62-Jährigen völlig außer Frage, dass sich ein großes Turnier mit einem möglichst positiven Abschneiden der deutschen Mannschaft positiv auf die Basis auswirkt und dadurch mehr Kinder Fußball spielen wollen. „Die Attraktivität ist ungebrochen. Die Kinder strömen nach wie vor in die Vereine, das wird durch eine WM noch verstärkt.“ Hägele lobt auch die Mini-Weltmeisterschaften, in denen Teams nach dem Originalspielplan der „großen“ WM ihr Turnier austragen. Wie zum Beispiel in Göppingen – wo am 2./3. Juni 32 E-Jugend-Mannschaften ihren Champion ausspielen, eingerahmt von einem bunten Rahmenprogramm.
Das Kernproblem würde sich trotz all dieser lobenswerten Aktionen aber nicht lösen, meint Hägele. Das Kernproblem nennt sich Drop-out. Und bedeutet, dass in der B- oder spätestens in der A-Jugend die Spieler wegbrechen. „In diesem Altersspektrum verliert der Fußball 80 Prozent der Spieler “, vermutet Hägele. Die Echterdinger U-19-Jungs scheinen also eine Ausnahme zu sein. Warum das so ist? Für Hägele steht fest: „Wir haben zu wenig qualifizierte Trainer. Oftmals wird sich nur um die stärksten Spieler richtig gekümmert.“ Respekt und Fair Play blieben nicht selten auf der Strecke. Das sei traurige Realität.
Im Mädchenbereich hat sich das Ganze laut Hägele noch verschärft. Die Festtage des Frauenfußballs nach dem WM-Titel 2003 sind vorbei, die Zahlen eher rückläufig. Für den Experten ist klar, warum: „Zum einen wollen viele Papas und Mamas nicht, dass ihre Töchter Fußball spielen, zum anderen gibt es noch weniger qualifizierte Trainer, die bereit sind und die Geduld aufbringen, ein Mädchenteam zu trainieren.“
Die Integrationskraft einer WM ist dagegen unstrittig. Fan-Feste sind Gemeinschaftserlebnisse. Reinhard Grindel, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), hat sich vor Kurzem beim WFV-Verbandstag in Sindelfingen so ausgedrückt: „Die Integrationskraft einer WM zeigt sich, wenn sich Fans des VfB Stuttgart und der Stuttgarter Kickers in den Armen liegen, wenn ein Spieler des FC Bayern München ein Tor für die deutsche Nationalmannschaft schießt.“ Dann meldet auch die Gastronomie erhöhte Umsätze: „Beim Public Viewing verdient der Pächter unserer Vereinsgaststätte ein paar Euro dazu“, kennt Oliver Elsäßer diesen angenehmen Nebeneffekt. Und nach einer tollen WM, möglichst gekürt mit dem Titel für die DFB-Elf, dürfte auch der Bambini-Nachwuchs in Echterdingen wieder regen Zulauf bekommen.